Gab es im Zusammenhang mit der EKD-Studie ForuM 2024 auch Vorwürfe gegen die Aidlinger Schwestern?
In der EKD-Studie wurde Gewalt gegenüber Kindern und Jugendlichen innerhalb von evangelischen Kirchengemeinden der EKD und diakonischen Einrichtungen in den vergangenen Jahrzehnten untersucht. Dabei wurde viel Unrecht und Leid aufgedeckt. In diesem Zusammenhang wurden auch Betroffene aus den Heimen der Brüdergemeinde Korntal interviewt. In einem der Heime (Flattichhaus) waren von 1959 – 2010 Schwestern tätig. Die gegen Schwestern erhobenen Vorwürfe betreffen die Zeit der 1950er bis 1970er Jahre.
Dazu nehmen wir im Folgenden Stellung
Mit großer Betroffenheit und Erschütterung haben wir die Veröffentlichung der Studie der EKD am 25.01.2024 verfolgt. Unfassbares Leid wurde sichtbar gemacht.
Im Rahmen der EKD-Studie ForuM wurden, wie oben bereits erwähnt, viele Betroffene interviewt. Unter ihnen waren auch Betroffene aus den Heimen der Brüdergemeinde Korntal. Sie alle berichteten, wie viel Unrecht und Leid sie erleben mussten. Die Erfahrungen von Betroffenen der Kinderheime der Brüdergemeinde waren bereits im Korntaler Aufklärungsbericht von Frau Dr. Baums-Stammberger und Prof. Dr. Hafeneger Thema (veröffentlicht 2018), in dem die Vorkommnisse und Erziehungspraktiken in den Heimen in Korntal und Wilhelmsdorf untersucht wurden.
Damals hatte die Verantwortung für die Kinderheime in Korntal der Verein „Kinderheim e. V. Korntal-Wilhelmsdorf“. Träger dieses Vereins war die Evangelische Brüdergemeinde Korntal. Aufgrund fehlender Mitarbeiterinnen erging an die damalige Leitung unserer Schwesternschaft die Anfrage, ob Schwestern im Kleinen Kinderheim (heute Flattichhaus) mitarbeiten könnten. Unsere Schwestern waren dort ab 1959 Beschäftigte wie andere Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen.
Im Korntaler Aufklärungsbericht ist in beiden Teilen dokumentiert und nachzulesen, dass unsere Schwesternschaft in den Aufklärungsprozess einbezogen und daran beteiligt war. Herr Prof. Dr. Hafeneger hat bei seiner Recherche nicht nur die Akten im LKA (Landeskirchlichen Archiv) und das Archiv der Brüdergemeinde durchforstet, sondern war auch bei uns im Mutterhaus und erhielt Zugang zu den Unterlagen, die wir über die Zeit im Flattichhaus besitzen. Akten von Heimkindern und Personalakten von Angestellten befanden sich zu keiner Zeit im Mutterhaus. Alles, was Herr Prof. Dr. Hafeneger bei seiner Recherche fand, was er bei Interviews mit Schwestern und was Frau Dr. Baums-Stammberger durch Betroffene erfuhr, wurde im Aufklärungsbericht berücksichtigt.
In den Interviews haben Betroffene auch Vorwürfe erhoben, durch Angestellte des Flattichhauses und durch Schwestern Gewalt erfahren zu haben.
Nach wie vor bedauern wir sehr, dass das in den 1950er bis 1970er Jahren vorherrschende pädagogische Selbstverständnis zusammen mit anderen Faktoren (zu wenig Personal, fehlende Erkenntnisse aus der Traumapädagogik, räumliche und andere Bedingungen in den Heimen usw.) damals zu körperlicher und seelischer Gewalt beitrugen. Dieses erlittene Leid ist nicht mit Worten oder auf andere Weise wiedergutzumachen und in keiner Weise zu rechtfertigen.
Wir stellen uns dazu, dass aus den oben genannten und möglicherweise auch anderen Gründen auch einzelne Schwestern unseres Mutterhauses Unrecht begangen haben. Durch die Berichte Betroffener mussten wir erkennen, dass auch Schwestern dem hohen Anspruch unserer christlichen Verpflichtung und dem Wohle und den Bedürfnissen der ihnen anvertrauten Kinder nicht immer gerecht geworden sind. Das macht uns sehr traurig und tut uns aufrichtig leid.
Die drei von den Betroffenen uns gegenüber namentlich benannten und beschuldigten Schwestern sind inzwischen verstorben. Eine von ihnen hat schon vor Jahrzehnten unsere Schwesternschaft verlassen.
Dass wir uns im Gegensatz zur Brüdergemeinde Korntal wenig in der Öffentlichkeit geäußert haben, hängt damit zusammen, dass wir nicht Träger der Einrichtung waren. Es bedeutet aber nicht, dass wir dem Thema gegenüber gleichgültig sind. Es war für uns selbstverständlich, dass wir beim Aufklärungsprozess der Kinderheime der Brüdergemeinde Korntal mitgewirkt haben.
Außerdem sind wir im Gespräch mit Betroffenen und es ist uns sehr wichtig, diese ernst zu nehmen, ihnen zuzuhören und ihre Fragen, wo wir können, zu beantworten, um unseren Teil dazu beizutragen, dass erlittenes Unrecht anerkannt wird und vielleicht mit der Zeit Wunden heilen können.
Wir können leider das Geschehene nicht rückgängig machen, aber wir wollen für die Gegenwart und Zukunft unseren Beitrag dazu leisten, dass derartiges Verhalten gegenüber Kindern und Jugendlichen nicht mehr vorkommt. Darum haben wir innerhalb unseres Werkes entsprechende Vorkehrungen getroffen: So gibt es seit einigen Jahren ein Schutz- und Präventionskonzept, um Kinder und Jugendliche vor Übergriffen zu schützen und dazu beizutragen, dass junge Menschen in unseren Angeboten Wertschätzung, Respekt und Achtung ihrer individuellen Persönlichkeit erleben. Dieses Schutzkonzept gilt für alle Arbeitsbereiche, in denen wir Angebote für Kinder und Jugendliche machen, und ist für die jeweiligen Bereiche entsprechend ihrer spezifischen Gefahrenpotenziale angepasst. Es wurde seither immer wieder evaluiert und aktualisiert.
Wir werden uns nun mit den Ergebnissen der EKD-Studie auseinandersetzen, um zu klären, wie wir dieses Schutz- und Präventionskonzept weiterentwickeln können und müssen, um Aspekte, die wir bisher übersehen haben, zu berücksichtigen. Wir wollen uns dafür einsetzen, dass Kinder, Jugendliche und Erwachsene vor Gewalt geschützt werden.
Bei Fragen können Sie sich gerne an unsere Schutz- und Präventionsbeauftragte wenden: praevention@dmh-aidlingen.de
31. Januar 2024 Schwester Regine Mohr, Oberin, mit dem Schwesternrat